Bericht des Ersten Vorsitzenden Dr. Johannes Werner bei der Mitgliederversammlung am 25.10.2014 in Hornberg
Liebe Mitglieder, liebe Freunde,
wieder einmal ist es an der Zeit, Ihnen Rechenschaft über das Wirken unserer Gesellschaft abzulegen, also zurück- und zugleich vorauszublicken. Manches haben Sie schon in dem Mitgliederbrief lesen können, den wir Ihnen um die Jahresmitte zugeschickt haben, manches aber noch nicht.
An erster Stelle ist wohl zu erwähnen, dass wir das schon lange gewünschte, schon lange geplante ,Wilhelm-Hausenstein-Lesebuch’ fertigstellen und in schöner Ausstattung, aber zu einem mäßigen Preis endlich herausgeben konnten. Das weitgefächerte Werk von Wilhelm Hausenstein ist ja nicht mehr greifbar und auch deshalb weitgehend in Vergessenheit geraten. Wir haben nun eine Reihe von Texten zusammengestellt, die, sachlich wie sprachlich, dem heutigen Leser einen neuen Zugang zu jenem Werk eröffnen und es in seiner Vielfalt wenigstens annähernd repräsentieren. In Zeitungen und Zeitschriften wurde das Lesebuch schon mehrfach zustimmend zur Kenntnis genommen und, unter anderem, die „feine Beobachtungsgabe und die treffsichere Beschreibungskunst“ des Autors lobend hervorgehoben. Inzwischen erschien auch der Sammelband mit den Beiträgen des letzten Symposiums zum Thema ‚Architektur’, der sehr ansehnlich geworden ist und sich Ihrer Aufmerksamkeit empfiehlt. Diese beiden Veröffentlichungen, zu denen uns unsere Satzung verpflichtete, haben verständlicherweise ein großes Loch in unsere Kasse gerissen; aber Sie können helfen, es zu stopfen, indem Sie sie kaufen. (Und gerne weisen wir auch darauf hin, dass das legendäre Buch von Wilhelm Hausenstein über Paul Klee in einer neuen, sehr sorgfältig gestalteten Ausgabe erschienen ist, um die sich unser Ehrenmitglied Kenneth Croose Parry besonders verdient gemacht hat.)
Unsere bisherigen Veröffentlichungen stoßen weiterhin auf großes Interesse; auch unsere Homepage, der unser Mitglied Michael Pohlig ein neues Aussehen gegeben hat. Nach wie vor sind wir auch die Anlaufstelle für alle, die sich mit Wilhelm Hausenstein befassen. So erhielten wir Anfragen etwa von der Universität Innsbruck, von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, von der Porzellanmanufaktur Nymphenburg in München und von privater Seite, die wir gerne und nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet haben.
Auch der Wilhelm-Hausenstein-Preis, der für besondere Leistungen im Fach Bildende Kunst verliehen wird, brachte uns wieder ins Gespräch. Er wird ja an Abiturientinnen und Abiturienten verliehen, die sich durch besondere Leistungen in Fach Bildende Kunst hervorgetan haben, und ging in diesem Jahr am Schwarzwald-Gymnasium in Triberg an Gianna Hummel und Franziska Martin, am Robert-Gerwig-Gymnasium in Hausach an Franziska Becker, am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium in Durmersheim an Laura Schröder und am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium in München an Ardacan Leloglu. Wir heißen die Preisträger in unserer Gesellschaft herzlich willkommen und wünschen ihnen für ihre Zukunft alles Gute.
Inzwischen ist ja unser diesjähriges Wilhelm-Hausenstein-Symposium, das nunmehr neunte, in vollem Gange, ja fast schon zu Ende. Es galt und gilt dem Thema ‚Religion‘, das für Wilhelm Hausenstein von großer Bedeutung war und auch für uns noch immer ist. Dass wir diese unsere Mitgliederversammlung nicht, wie sonst, dem Symposium vorgelagert, sondern in seine Mitte gelegt haben, sollte ihr einen möglichst großen Zuspruch sichern – denn heute gilt es, nicht nur einen neuen, sondern einen im Wesentlichen auch anderen Vorstand zu wählen. Ich selber trete von dem Amt des Ersten Vorsitzenden, das ich seit der Gründung der Gesellschaft am 17. November 2001 innegehabt habe, zurück; aber ich versichere Ihnen, dass ich es nur tue, um mich anderen, insbesondere literarischen Projekten zuwenden zu können. (Wie Sie vielleicht wissen, habe ich eine lange Reihe von Zeitschriften- und Buchbeiträgen sowie eine noch längst nicht so lange Reihe von Büchern veröffentlicht, und ich habe noch mehr vor.) Ich tue es in dem Bewusstsein, dass ich zusammen mit meinen Mitstreitern, denen ich hiermit herzlich danke, in den vergangenen Jahren manches tun konnte, um, wie es in unserer Satzung heißt, „das Andenken Wilhelm Hausensteins zu wahren und zu mehren; die Erforschung, Veröffentlichung und Verbreitung seines Werks zu fördern; in seinem Sinne zu wirken, insbesondere in dem der Verständigung über nationale und andere Grenzen hinweg, sowie in dem der Sorge um die Zukunft dieser Welt“. Eine Aufzählung der diesbezüglichen Aktivitäten will ich mir und Ihnen ersparen, aber wenigstens daran erinnern, dass wir das doppelte Gedenkjahr – 2007 – in Paris und an anderen Orten gebührend gefeiert haben. Das Amt des Ersten Vorsitzenden ist ein Ehrenamt, Lust und Last zugleich, und ich gebe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf.
Jahr für Jahr habe ich Bericht erstattet, mündlich wie schriftlich, und tue es hiermit zum letzten Mal. Ich bitte Sie, meinem Nachfolger das Vertrauen zu schenken, das Sie mir bisher geschenkt haben, und dem übrigen Vorstand natürlich auch.
Zum Schluss möchte ich noch Ihnen allen danken – für Ihre Treue und dafür, dass sie durch ihr Engagement das Wirken der Wilhelm-Hausenstein-Gesellschaft erst möglich machen.
Bei der Mitgliederversammlung am 25. Oktober 2014 trat Dr. Johannes Werner vom Amt des Ersten Vorsitzenden zurück, das er seit der Gründung der Gesellschaft innehatte; zu seinem Nachfolger wurde Wolfgang Boeckh gewählt.
Weiterhin wurden gewählt: Dr. Dieter Jakob (Zweiter Vorsitzender), Ute Stehle (Schatzmeisterin), Thomas Schwertel (Schriftführer) sowie Kerstin Bitar, Dr. Peter Reuss und Prof. Dr. Hubert Roland (Beiräte).
Zum Abschied von Johannes Werner vom Amt des Vorsitzenden
Liebe Freunde Wilhelm Hausensteins,
dass ich heute nicht persönlich zu Ihnen sprechen kann, bedauere ich von Herzen. Aber ich bin gesundheitlich etwas angeschlagen, mein Bewegungskreis ist klein geworden. So habe ich Herrn Schwertel gebeten, Ihnen meine Gedanken vorzutragen.
Es gibt ein geflügeltes Wort im Deutschen, das dann verwendet wird, wenn man sagen will, dass der Verlust für jeden spürbar wird, wenn einer geht, der sein Amt des Führens auf eine Weise ausgeübt hat, dass der Abgang als tiefer Einschnitt empfunden wird. „Der Lotse geht von Bord“ hieß es beim Abschied Bismarcks vom Amt des Reichskanzlers in einer berühmt gewordenen Karikatur.
„Der Lotse geht von Bord“ können auch wir sagen, nachdem Johannes Werner angekündigt hat, für das Amt des Vorsitzenden unserer Gesellschaft nicht mehr zu kandidieren.
Johannes Werner hat die Gesellschaft, geführt, geprägt und vertreten, dass man immer den Eindruck hatte, er sei der „natürliche“ Vorsitzende. Der Gesellschaft und allen Mitgliedern hat das gut getan, den Badenern und den Münchnern und allen anderen. Wir haben uns heute zum neunten Symposium versammelt. Und an interessanten Themen und sachkundigen Rednern (und schöner Musik, das sei nicht vergessen) hat es uns nicht gemangelt. Mit dem Rückblick auf Wilhelm Hausenstein hat alles 1998 begonnen, mit dem Nachdenken über die Globalisierung, über Krieg und Frieden, über Vorbilder, über Orient & Akzident, über Literatur, über Emigration & Exil und über Architektur sind wir heute bei Fragen der Religion angekommen. Und wir stellen fest: Unsere Themen sind immer erstaunlich, aber nie vordergründig aktuell. Mit der Biographie Wilhelm Hausensteins aus der Feder unseres Vorsitzenden und dem Wilhelm-Hausenstein-Lesebuch, das er und ich zusammen herausgegeben haben, wurden zudem zwei weitere Glanzlichter gesetzt. Die Lektüre des Lesebuchs sei ein „Muss für Frankophile“, urteilt die Zeitschrift „Deutsche Lehrer im Ausland“ in ihrem letzten Heft. Und Gustav Seibt, einer der bedeutenden Journalisten der Süddeutschen Zeitung (er hat im letzten Jahr mit „Goethes Autorität“ ein schönes Buch über Goethe vorgelegt), schreibt mir in einer E-Mail: „Besten Dank für Ihre Hausenstein-Gaben, die ich mit wehmütigem Interesse durchgesehen habe. Vieles davon kannte ich (Hausensteins Bücher standen in der Bibliothek meiner Eltern). Es ist schön und bewegend, dass diese kultivierten, oft sogar musischen Gestalten der ersten Jahrhunderthälfte - Hausenstein, Hofmiller, Geiger und so viele andere - immer noch ihre Anhänger haben. Meine jüngeren Kollegen kennen kaum noch die Namen, geschweige dass sie etwas davon gelesen hätten.“
Johannes Werner mag keine Lobeshymnen. Wir aber wissen, was wir an ihm hatten und haben. Denn es ist unser Glück, dass er uns, anders als der Lotse Bismarck, als Gesprächspartner und Freund erhalten bleibt. Und wir haben auch in einem weiteren Sinne Glück: Wir müssen, anders als das Deutsche Reich, keine ungewisse Zukunft mit dunklen Wolken über dem Horizont fürchten.
Wir haben Johannes Werner zu danken.
Wir freuen uns schon heute, ihn immer wieder zu sehen.
Ihnen wünsche ich ein paar anregende Tage in Hornberg und ein fröhliches Zusammensein. Seien Sie herzlich gegrüß!
Ihr
Dieter Jakob
Zum guten Schluss
Anmerkungen zu Religion und Konfession bei Hausenstein
W.Boeckh
Generalisten wie Hausenstein haben ihren eigenen Blick auf Religion, fast eine Binsenweisheit. Das galt für Goethe, den wichtigen Urvater aller neueren Generalisten ebenso; in jungen Jahren schweifende Nähe zum Protestantismus, dann die prägende Nähe zu Personen, Vorbildern, Denkern, der griechischen Philosophie, der Aufklärung, die Abrechnung mit Autoritäten - eine unabdingbare Voraussetzung beim Werden einer starken Persönlichkeit, schließlich die "klassische Harmonie mit sich selbst" (Safranski)
Was ist das "Generalistische" bei Hausenstein? Ist es die Neugierde, die Wahrnehmung der Welt, der Versuch, Zeitgeist zu bändigen, mit ihm zu korrespondieren, gar ein Teil von ihm zu werden?
Goethe konnte seine Biografie in hohem Maße selbst gestalten, selbst Konventionen konnten ihm wenig anhaben. Die Begegnungen mit Frauen bereicherten ihn, den Empfindsamen und Rücksichtslosen, er führte ein weitgehend sorgenfreies Leben an der Seite seines fürstlichen Freundes, und selbst ein Staatsamt hielt ihn nicht von seinen naturwissenschaftlichen Überlegungen ab; im Gegenteil. Die Bildungsreisen im privilegierten Kontext und die literarischen Ergebnisse gehören zum nachhaltigen deutschen Kulturerbe.
Hausenstein lebte, dachte und schrieb in eben dieser Tradition. Er hatte keine naturwissenschaftlichen Ambitionen, die Liebe zum anderen Geschlecht war Inspirationsquelle im bürgerlichen Rahmen, aber er lebte in einer Zeit, in der zum ersten Mal fast alles, was zuvor jemals gedacht, geschrieben, gemalt, komponiert und veröffentlicht worden war, zugänglich war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Reisen nach Italien und Griechenland ebenso bequem wie sie nach Übersee gewesen wären, alle Texte waren zugänglich, die Fotografie blühte. Philosophie, Religion, der große, bildungsbürgerliche Kanon mythologischen und naturwissenschaftlichen Wissens wurde am Gymnasium erlernt, und eine gewisse Zeit sah es sogar nach Demokratie in Deutschland aus. Möglicherweise verhinderte schon damals die Überfülle an zugänglichem Wissen, die Beschäftigung mit dem riesigen Berg der europäischen Bildungstradition eine solche Universalität, wie sie Persönlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts noch ausbilden konnten; was gedacht worden war, brauchte man nicht mehr zu wiederholen. Universalität an der Schwelle zum 20. Jahrhundert wäre ein Verlust an Tiefe und Seriosität geworden; Amateur wurde zum Begriff einer geistigen Herablassung.
Hausenstein setzte hier an. Schon in seiner Abiturrede mahnte er, keine Begabung brach liegen zu lassen, jede individuelle Fähigkeit auszuloten und zu nutzen. Das hat zwangsläufig emanzipatorische Gedanken zur Folge, und es prägt das Verhältnis zur ererbten Religion, zuerst sozialistisch, später individualisiert, human, verbindlicher, kompatibler. Universell denken, war nun also Ausprägung einer Neugierde, liberal, aber gebunden, weltoffen, aber national, mit Sinn und Liebe zur Schönheit in der Welt, wohl wissend, dass es da unter der Oberfläche brodelte.
Solange der schweifende Geist sich frei entfalten konnte, war der Protestantismus ererbte Heimat, der Pietismus hatte wenig Chancen. Er hatte als Kind das Wandern zwischen den Konfessionen beobachtet, und wurde selber ein solcher Wanderer, nun nicht mehr mit der schönen Kutsche ins Nachbardorf, wo die Katholiken ihre Kirche hatten, sondern auf der Suche nach letztem Halt, nach Ordnung in Zeiten geistiger Auflösung und moralischer Anarchie. Kirchen und Klöster sind ihm kunstgeschichtlicher Ausdruck, bewundernswerte Architektur, gewachsene Glieder urbanen Daseins. Über allen seinen besinnlichen Wanderfahrten liegt ein idyllischer Hauch, der durch seine Sachkenntnis, seine traditionsverliebte Sprachkunst und seine große Aufmerksamkeit vor der Trivialität bewahrt wird. Im Vorwort zu seiner Kunstgeschichte von 1928 schreibt Hausenstein, hier zeige er "nur schöne Bilder" . Das ist wohl kaum Ausdruck biedermeierlicher Ignoranz, eher das Aufbäumen des wachen, beobachtenden Geistes, der in den Werken des Expressionismus die bildnerische Vorwegnahme der kommenden Katastrophen sieht. Nun ist er nicht mehr kompetenter Kunsthistoriker, er ist zum Platzhalter klassischer Kunstauffassung geworden. Die Hölle für einen freien Geist, mit einer Jüdin verheiratet, ist in Sichtweite.
Auf dem Weg zum Parthenon, der ihm, wie allen Bildungsreisenden, Krönung der abendländischen Zivilisation ist , muss das Hässliche durchlebt werden, dem er im alten Piräus begegnet, und er benennt es - Gottseidank, möchte man sagen, aber diese Welt ist von der Welt der Erhabenheit und Schönheit geschieden, man muss sie eben durchqueren.
Die Schönheit der Welt war Goethe noch Ausdruck des Lebens, trunken oder verliebt, noch im scharfen Gedanken sinnlich, er erklärt sich zum Zentrum seiner Welt, Widersacher kommen nicht in Betracht , und das gilt auch für Mephisto: er ist der oder das Böse als dialektische Herausforderung, nicht Spiegelbild der Welt, vorerst. Hausenstein muss das anders sehen, und er kann nicht Herr seiner Biografie mehr sein, wie Millionen andere auch im 20. Jahrhundert. Noch in der Ordnung des Schwarzwaldes geboren, nach Schule, Studium, der überwältigenden Erfahrung der Welt nicht nur durch Wandern und Reisen, sondern dem Erleben der Welt aus ihrer Darstellung in der Kunst, entsteht zuerst eine Wahrnehmung sozusagen aus zweiter Hand. Wer die Kunst so intensiv wie Hausenstein studiert, wird zum Beschreibenden. Aus Beschreibung erwächst Interpretation, ganz in der Tradition humboldtscher Bildung; alles ist zu etwas nütze, Sinn und Schönheit dieser Welt sind evident, man muss nur sehen lernen, zugreifen, die Alten haben es doch vorgemacht. Da ist Gott Tradition, geübter Bestandteil der Biografie, hie und da auch willkommener Gegenstand philosophischer Exkurse. Das Erlebnis des Alltags in einem protestantischen Pfarrhaus macht Religion zum alltäglichen Erleben schlechthin, die Kanzel ist erst Geheimnis ("Fabel"), dann auch ein wenig Programm, wie schon hie und da bei Goethe. Die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der erste Weltkrieg, vorgeahnt von wenigen, was macht das mit den Humanisten, was bedeutet das für die religiöse Überzeugung?
Immer wieder kommt Hausenstein auf das Erleben der beiden Konfessionen zurück (z.B. die Beschreibung der letzten Ölung von Christians Vater): "Witwe und Weise folgten den heiligen Vorgängen mit jedem eigentümlichen, halb stolzen, halb niedergeschlagenen Gefühl der Ausgeschlossenheit, welcher den evangelischen Gast katholischer Kulte befällt, wenn er durch ein schmerzendes Geschehnis bis in jene Gründe aufgebrochen wird, in welchen die Erinnerung an eine ursprüngliche Gemeinsamkeit alles christlichen Wesens nachlebt, ohne durch die Gewalt protestantischer Auflehnung getilgt werden zu können" (Lux perpetua, S.126). Die Sehnsucht nach Harmonie erlebt das Protestantische auch 500 Jahre nach der Reformation als Auflehnung, mit Gewalt erzwungen, dem aufgeklärten Geist verständlich, der um Schönheit ringenden Seele aber fremd. So ist es folgerichtig, dass Wilhelm Hausenstein in Zeiten größter Unordnung, dem hässlichen Chaos des untergehenden Nazi-Deutschlands konvertiert. Die rationalen Kräfte haben versagt, Humanismus ist zur Chimäre geworden, die Heillosigkeit und Heimatlosigkeit in den brennenden deutschen Städten lässt ihm keine Wahl. Einst das Land der Griechen mit der Seele suchend, hat diese nun Kirchenasyl, und es wird Heimat daraus, neue, alte Heimat. Hausenstein konvertiert nicht einfach vom Evangelischen zum Katholischen, einer in Kriegszeiten vielleicht sinnlicheren Alternative. Er kehrt zurück in einen vorreformatorischen Schoß, eine verlässliche, weil Jahrtausende überdauernde Ordnung. Da kann das Lämpchen, unweit des Altars in halber Höhe schweben und, wie es in Lux perpetua weiter heißt, wie ein Stern aus Rubin glühen. Er findet die geordnete und ordnende Fülle des Christentums.
Hausenstein ist Humanist geblieben, und Kunst und Literatur bleiben sein Lebenselixier, auch während seiner Episode als Botschafter in Paris. Das verschaffte ihm unverdächtige Anerkennung der Franzosen, dem Amt in Bonn blieb er fremd, und manchem Politiker der ersten Adenauer-Jahre ebenfalls. Dem Katholiken Adenauer konnte Hausensteins Konfession nur recht sein, hatte doch auch dieser seine Kraft, dem Nationalsozialismus die Stirn zu bieten, ebenfalls in seiner Verwurzelung in katholischer Heimat gefunden.
Mit großer Fähigkeit zur Selbstreflexion beschreibt Hausenstein, worauf es ihm ankommt:
"Was für ein Schleier und Vorhang ist diese Welt der Sinne! - Schön, aber doch ein Vorhang!
Von Stund' an beginnt er, die rechtgläubige Statik romanischer Baukunst den barocken Zaubern vorzuziehen. Die Antike schmilzt ihm in das Christentum ein. Er versteht nun vollends, dass dies geschehen kann: mit zärtlichem Erstaunen sich daran erinnernd, wie das Gymnasium eher das Christentum in die Antike eingeschmolzen hat. ..was aber den Glauben selbst betrifft, so kommt ihm die entscheidende Erleuchtung aus dem kategorischen Satze des englischen Kardinals:
"Rühret nicht an die religiöse Frage , wenn ihr nicht Glauben haben wollet, und bildet euch nicht ein, ihr hättet Glauben, wenn ihr nicht in die Kirche eintretet." (Johann Armbruster alias Wilhelm Hausenstein in Lux perpetua, S.367)
Anm: Seitenangaben Lux perpetua, Verlag S. Fischer, Frankfurt 1972